MARIELE DIEKHOF
KITA-BERATERIN
DOZENTIN
AUTORIN

Vom Traumberuf hin zur Wirklichkeit im Kita-Alltag und zurück

Weißt du noch, warum du Erzieherin geworden bist? Was hat dich bewogen, diesen wunderbaren Beruf zu ergreifen? War es ein Herzenswunsch von dir? Wovon hast du geträumt und wie hast du dir während deiner Ausbildung den bunten Alltag mit den Kindern in der Kita vorgestellt? Erinnerst du dich?

Ich möchte dir gerne ein wenig von mir erzählen, warum ich Erzieherin geworden bin. Meine Kindheit verbrachte ich überwiegend mit meinen drei Geschwistern und unzähligen Nachbarkindern draußen in der freien Natur. Stundenlang streiften wir durch den naheliegenden Wald, vergaßen beim Spielen und Streiten die Zeit und erlebten die tollsten Abenteuer. Natürlich mussten wir Kinder auch im Haushalt und im Garten helfen. Ich erinnere mich ans unermüdliche Socken waschen, Erbsen döppen, Geschirr spülen, Hühner füttern, Beete harken und auch daran, wie stolz ich war, wenn die Arbeit getan war. Ich gerate regelrecht ins Schwärmen, wenn ich an meine wilde und unbekümmerte Kindheit denke.

Genau wie Christian Morgenstern kann ich sagen „Noch heute spüre ich die Sonnenstrahlen meiner Kindheit in mir“. Ich behaupte sogar, dass ich es meiner unbeschwerten Kindheit zu verdanken habe, dass ich eine innere Stärke entwickeln konnte. Eine Stärke, die ich ganz besonders dann spüre, wenn es mal nicht so rund läuft im Leben. Manchmal frage ich mich, was meine glückliche Kindheit ausgemacht hat. Ich denke, es war das berauschende Gefühl der Freiheit und der kleinen Verantwortungen. Unsere Tage waren unverplant, wir Kinder standen nicht unter Beobachtung und wir wurden meistens von den „langweiligen“ Erwachsenen in Ruhe gelassen. Vor dem Zubettgehen gabs noch eine Runde „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Spitz pass auf“ und dann war auch gut. Ab ins Bett! Was für ein Leben! Was für eine gelungene und entspannte Vorbereitung auf die folgende Schulzeit.

So eine märchenhafte, freie und unbeschwerte Kindheit wünsche ich von ganzem Herzen allen Kindern dieser Welt. Eine friedliche Kindheit, die nachhaltig wirkt, die stark, klug, empathisch und glücklich macht. Eine Kindheit, die zum Forschen und Staunen anregt und geprägt ist von Abenteuerlust, Bewegung und Eigenständigkeit. Solange ich zurückdenken kann, waren das meine Träume und Visionen, und genau aus dem Grund bin ich Erzieherin geworden und wollte es immer sein.

Kinder sind das Größte, das Wertvollste, das Wunderbarste auf der Erde. Sie bei der Entdeckung ihrer kleinen Welt zu begleiten, ihnen unzählige Glücksmomente zu schenken, mit ihnen gemeinsam zu staunen, zu forschen, zu lachen und zu philosophieren…. Das war immer ein Herzenswunsch von mir. Gibt es einen schöneren Beruf? Was meinst du? Entdeckst du Parallelen zu deinen Träumen und Visionen?

Alle Pädagog/innen, Erziehungswissenschaftler, Hirnforscher und Bildungsforscher sind davon überzeugt, dass alle Kinder genau das brauchen: Eine herzliche Begleitung, ein anregendes Umfeld, Verantwortlichkeiten, Rituale und Zeit zum Abtauchen in ihre Welten – damit sie sich gesund entfalten und wachsen können. Sie brauchen Erwachsene, die sie beschützen, sie gleichermaßen in Ruhe lassen und gemeinsam mit ihnen zu Forschern und Entdeckern werden. Vielleicht kennst du mein Märchen „Das schönste Geschenk“? Du entdeckst es hier auf dieser Seite. Beim Lesen des Märchens tauchst du in ein Abenteuerland ein, so wie ich es mir für die Kinder wünsche.

So, genug geträumt!
Wir alle wissen, dass der Alltag derzeit in vielen deutschen Kindertagesstätten ganz anders aussieht. Studien besagen, dass sich mehr als die Hälfte der Erzieherinnen erschöpft fühlt.

Was ist von unseren Traumvorstellungen,
von unserem Traumberuf geblieben?

Der Krankenstand ist bundesweit bedenklich und es mangelt flächendeckend an Fachkräften. Der Beruf der Erzieherin hat an Attraktivität verloren. Viele meiner Seminargäste bestätigen das, und jeder kennt mindestestens eine Person, die unter Burnout leidet. Es wird vom überbordenden Bürokratismus berichtet, fast alle Erzieherinnen nehmen den sogenannten „Schreibkram“ mit nach Hause, weil dafür in der Kita bedingt durch Personalmangel kaum Zeit bleibt. Auch die oft völlig übertriebene Angebotspädagogik tut niemandem gut. Zusätzlich machen uns so manch merkwürdige und unsinnige Auflagen von verschiedensten Ämtern zu schaffen. Kinder dürfen die Kita-Küche nicht mehr betreten, gewickelt wird nur noch mit Gummihandschuhen, selbstgebackene Kuchen dürfen nicht mehr angenommen werden, alle Türen müssen aus Brandschutzgründen geschlossen bleiben, Topfblumen müssen raus, Schürzen umgebunden sein. Mir wird von all den Berichten schwindelig und ich stelle mir die Frage:

Was ist aus dem Traum der kindgerechten Kita geworden, bei der die Kinder im Mittelpunkt stehen? Wo ist die Leichtigkeit geblieben? Darf es sein, dass wir – trotz Personalmangel – bis zur Erschöpfung Entwicklungsberichte, Dokumentationen und Portfolios erstellen und umfassende Beobachtungsbögen ausfüllen? Was hat das Kind davon? Wem nützt das? Wer denkst sich so etwas aus? Darf es sein, dass wir so manche unsinnige Auflagen befolgen, obwohl wir damit unseren Bildungsauftrag gefährden? Wohin führt das, wenn wir nicht endlich die Notbremse ziehen? Ich habe neulich einen Satz gelesen, der mir zu denken gibt:

*Einst haben wir für unseren Beruf gebrannt –
heute fühlen wir uns in unserem Beruf ausgebrannt*




Wie lange machen wir das noch mit? Wollen wir darauf warten, dass jemand an die Tür klopft und die verlorengegangene Leichtigkeit, Entspannung und Lebensfreude zurückbringt und dann im selben Zuge unseren gesamten Schreibkram einkassiert und damit verschwindet? Das passiert leider nur im Märchen. Nein, es gibt einen anderen Weg …

Los geht’s – der gemeinsame Weg zurück zur entspannten Pädagogik!



Ich möchte euch unbedingt dazu ermutigen tätig zu werden. Sprecht mit eurer Leitung/dem Träger. Entwerft gemeinsam einen Plan! Einigt euch mit dem Träger darauf, dass die schriftlichen Arbeiten auf ein Minimum reduziert werden, bis der Fachkräftemangel ein Ende hat. Nehmt nichts mehr mit nach Hause. Schaut gemeinsam, wie die Arbeitsbedingungen in eurem Haus optimiert werden können. Alle im Team werden aufgefordert Ideen zusammenzutragen. Was ist möglich? Was brauchen wir, um gesund zu bleiben, um unsere Träume und Visionen zu leben? Was muss getan werden, um den Kindern und uns eine Bullerbü-Welt zu schaffen, in der wir alle lernen, leben und träumen dürfen? Bezieht die Eltern mit ein. Ich bitte die Leiterinnen: Bildet eine tatkräftige Allianz mit Vertretern des Trägers, des Teams, der Elternschaft. Formuliert ganz klar eure Ziele und plant eure Schritte, die notwendig sind, um die Ziele zu erreichen. Verteilt dafür die Verantwortungen.

Setzt euch beispielsweise auf Augenhöhe mit den Behörden auseinander. Das Hygieneamt hat einen Auftrag, aber auch wir haben einen (Bildungs-) Auftrag. Seid Anwälte der Kinder, schützt sie vor den Folgen unsinniger Auflagen und wehrt euch dagegen. Tragt Argumente zusammen und geht damit in die Diskussion. Dies könnte im Verantwortungsbereich der Leitung liegen, hier mal ein Beispiel: Die Auflage wäre, beim Wickeln Gummihandschuhe zu tragen. Argumentation dagegen: Die Kinder mit Gummihandschuhen zu wickeln, auch gegen deren Willen, gefährdet die Partizipation und verletzt die Würde des Kindes. Zudem schaden die Unmengen an gebrauchten Gummihandschuhen der Umwelt. Alternative: Gründliches Händewaschen vor und nach jedem Wickeln…… etc.. Bitte nicht jammern und klagen und einknicken, sondern unbedingt professionell und zielgerichtet die Auseinandersetzung führen.

Auch der Einsatz von Vorlese-Paten oder Ehrenamtlichen, die in der Mittagszeit beim Bedienen der Kinder aushelfen, kann eine große Hilfe sein. Darüber könnte ich ein ganzes Kapitel schreiben …

Seid mutig und unterstützt euch gegenseitig. Jeder Träger möchte ein gesundes Team und glückliche Kinder in seiner Einrichtung.

Ein vertrauensvolles Verhältnis zum Träger ist der Schlüssel zum gesunden Team und zum entspannten Arbeiten. Wenn er grünes Licht zum Bürokratieabbau gibt, ist der erste Schritt getan …

Was aber, wenn das Verhältnis zum Träger getrübt ist und ihr kein offenes Ohr für eure Belange dort findet? Ein Weg könnte sein, dass die Leitung dem Träger die brenzlige Situation in der Kita schriftlich schildert und um einen Gesprächstermin bittet. In diesem Gespräch bittet die Leitung um Unterstützung und macht diesbezüglich konkrete Verbesserungs-Vorschläge, die sie zuvor mit dem Team erarbeitet hat. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es eher ein Entgegenkommen seitens des Trägers gibt, wenn es eine zeitlich bregenzte „Probierphase“ gibt.

Sollten Leitung und Team noch immer alleine gelassen werden, dann wäre die nächste Option wohl eine Überlastungsanzeige.

Wichtig zu wissen:
Die Leitung sollte unbedingt zuvor den Träger informieren, dass sie gesetzlich verpflichtet ist, wenn die Belastungsgrenze erreicht und das Wohl des Teams oder der Kinder gefährdet ist. (Arbeitsschutzgesetz § 15 ff) Der Träger wiederum ist gesetzlich verpflichtet, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu gewährleisten und drohende Gesundheitsprobleme abzuwenden (Arbeitsschutzgesetz § 4) Der Träger kann haftbar gemacht werden für Schäden, die aus einer Überlastungssituation entstehen und bei denen trotz Hinweis der Leitung keine Abhilfe geschaffen wurde. Eine abgegebene Überlastungsanzeige der Leitung schützt das Team vor arbeitsrechtlichen, zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Konsequenzen. Eine Überlastungsanzeige sollte spätestens dann abgegeben werden, wenn abzusehen ist, dass das Team aus eigener Kraft die Arbeit nicht mehr leisten kann, insbesondere wenn die Betreuung und Sicherheit der Kinder nicht gewährleistet werden kann. Diesbezügliche weitere Infos erhaltet ihr von der Gewerkschaft, aber auch das Recherchieren im Internet macht Sinn.

Und nun drücke ich ganz doll die Daumen, dass es soweit niemals kommen wird!

So oder so, macht euch stark, setzt euch ein, damit euer Beruf wieder zum Traumberuf wird! Ich wünsche euch dafür alle Kraft der Welt und eine riesige Portion Optimismus. Zum Wohle aller kleinen und großen Leute in der Kita!

Kommt zum Auftanken herzlich gerne mal wieder zu mir nach Berlin in die Kitopia. Meine Elke und ich tun alles, um euch unvergessliche Stunden zu bereiten. Hier auf meiner Homepage entdeckt ihr alle meine Themen, Inhalte und Termine. Viel Freude beim Stöbern!

Alles Liebe und herzliche Grüße von Mariele