MARIELE DIEKHOF
KITA-BERATERIN
DOZENTIN
AUTORIN

Interview mit der FHS Potsdam

Diese spannenden und interessanten Fragen wurden mir Mitte Juni 2022 von Antonia und Sophia, Studierende an der FHS Potsdam gestellt.

Gerne habe ich sie beantwortet. Vielleicht hast du auch Freude daran, die Fragen und Antworten zu lesen?

Interview
Berlin, den 17.6.22

Fragen von Antonia und Sophia 

Warum haben Sie sich entschieden, in dem Bereich Kindheitspädagogik beruflich tätig zu sein?
Über diese Frage habe ich nicht lange nachdenken müssen: Lange ist es her, ich denke gerade zurück an meine ersten Lebensjahre auf dem Land… Es war mein Cousin Johannes, der nicht ganz unschuldig an meinem beruflichen Werdegang ist.  Unsere Familien besuchten sich oft untereinander und mit Johannes und seinen zwei Schwestern war es immer spannend. Johannes, knapp 6 Monate älter, war mir sportlich und auch sonst immer etwas voraus und gab auch gerne damit an. 

Noch heute sehe ich, wie er mit Anlauf einen Köpper im hauseigenen Pool hinbekam, während ich mit zugehaltener Nase unsicher am Beckenrand stand und 

mir der Mut zum Sprung fehlte. Dann folgte der Tag, an dem Johannes morgens keine Zeit mehr hatte – er kam in den Kindergarten. Da wäre ich auch gerne hingegangen, doch meine Mutter hatte kein Auto und auch keine Zeit, mich in den Kindergarten zu bringen. Die Zeiten waren damals anders. Ich hing Johannes an den Lippen, wenn er von seinen Erlebnissen im Kindergarten erzählte. Nach seinen fantasievollen Schilderungen sahen alle Kindergärtnerinnen aus wie Schneewittchen, schon morgens winkten sie den Kindern aus den geöffneten Fenstern eines Märchenschlosses zu. Den ganzen Tag wurde gebastelt, gespielt und gesungen und alle Kinder trugen bunte Zipfelmützen. Die Bilder meiner Kindheit sehe ich noch heute vor mir.

Meine Sehnsucht auch dabei zu sein, wurde immer größer. Ja, und dann kam der Tag an dem ich beschloss, Kindergärtnerin zu werden. Wenn ich schon nicht als Kind in diesem Türmchen-Märchenschloss sein durfte, dann eben als Erwachsene.

Von diesem Tag an habe ich das Ziel verfolgt und konnte meinem Angeber-Cousin sozusagen Paroli bieten. Wenn ich jetzt daran denke, muss ich lachen. Mein lieber Johannes war mir auch auf dem beruflichen Weg immer einige Schritte voraus. Es wurde erfolgreicher Professor für Erziehungswissenschaften – was auch sonst? 

Sie haben 17 Jahre in der Leitenden Position gearbeitet, warum haben Sie sich beruflich verändert?
Anfang 2002 hatte ich das große Glück an einer Studienreise nach Italien/Reggio teilzunehmen. Dort lernte ich Doris Butschke, eine leitende Mitarbeiterin des Landesjugendamtes Beeskow kennen. Sie hat mich quasi überredet, doch ein Seminar für Erzieher*innen im Landesjugendamt zu geben. Der Grund war, dass ich ihr von meiner Arbeit erzählte und  ein ungewöhnliches Projekt beschrieb. Da wurde sie neugierig und wollte mehr wissen…

Wie hat Ihr Umfeld auf die berufliche Änderung reagiert?
Ich habe nur positive Reaktionen erlebt. Lediglich meine Mutte fragte mich damals, ob ich mir das auch gut überlegt hätte. Schließlich gab ich eine Festanstellung auf und begab mich auf unsicheren Boden. Aber sie ließ sich dann auch überzeugen.

Hatten Sie Unterstützung? Wenn ja, wie wurden Sie unterstützt?
Mein Weg in die Selbstständigkeit als Fortbildnerin vollzog sich sozusagen schleichend. Zunächst gab ich nur vereinzelt Seminare und dann gab es immer mehr Anfragen. Irgendwann kam der Tag der Entscheidung und ich kündigte meine Anstellung als Leiterin einer großen Kita zum 1.1.2005.

Unterstützung und Zuspruch bekam ich von allen Seiten. Ganz besonders dankbar bin ich meinem Mann, der mir auch heute noch bei allen meinen Aktionen und Vorhaben zur Seite steht. Aber auch meine beiden Kinder lieben es, verrückte Visionen zu spinnen und Neues auszuprobieren. Das wird wohl auch immer so weitergehen.

Wie kam es zur Gründung von Kitopia?
Als freie Fortbildnerin war ich nun schon lange unterwegs, um in den Kitas vor Ort und bei den verschiedensten Bildungsträgern meine Seminare anzubieten. Zunächst war ich gerne unterwegs. Mit voll gepacktem Wagen ging es zunächst quer durch Berlin, später dann auch in andere Bundesländer. Alles sehr spannend und aufregend. So hatte ich die Möglichkeit unzählige Kitas und Teams kennenzulernen, immer unterwegs, immer woanders. Ich weiß nicht, wie viele Einrichtungen und Hotels ich schon auf meiner Liste hatte, als es mir eines Tages zuviel wurde. Es war nicht nur das Autofahren, auch das Packen, Be- und Entladen wurde immer beschwerlicher. So entwickelte sich dann eines Tages die Idee, eigene Räumlichkeiten anzumieten, um dort die Seminare anzubieten. Genau am 12. Februar 2011 beim Abendessen mit meinem Mann passierte es und genau 4 Wochen später wurde der Vertrag für die KITOPIA-Wohnung unterschrieben. Die beste Idee in meiner gesamten bisherigen beruflichen Laufbahn! 11 Jahre gibt es nun schon die Kitopia und Ende 2023 wird sie ihre Pforten schließen. Dann bin ich 66 und höre auf, wenn es am Schönsten ist. 

Übrigens: Auch hier ist mir Johannes wieder voraus: er genießt schon fröhlich seine Rente und liegt sicher ziemlich zufrieden am Pool. Ob er noch immer seinen eleganten Köpper hinkriegt, weiß ich nicht. Sobald ich in Rente bin, werde ich ihn mal besuchen, das kriege ich raus!

Was hat sie dazu bewegt, das Buch Kitopia zu schreiben?
Mit der Zeit nahm die Vorstellung einer Kita, die von Leichtigkeit und Lebenslust geprägt ist, in meinem Kopf immer mehr Formen an. Irgendwann kam mir die Idee, so eine „Utopie-Kita – sozusagen als „Anschauungsmodell“ aufzubauen. Räume mieten und sie bestücken….. Davon habe ich lange geträumt und ich bin gedanklich darin schon spazieren gegangen. Doch wem nützt so ein Modell in dem das Wichtigste fehlt, die Kinder. Da kam dann eines Tages mein Mann auf die Idee, diese Welt – die UTOPIE – aufs Papier zu bringen. Damit war dann die Idee geboren. Und die ersten Konzepte und Formulierungsideen nahmen Formen an. Utopie und Kita = KITOPIA

In dem Buch werten Sie nicht über andere, Sie geben Beispiele wie man etwas umsetzen kann. Was hat Sie dazu bewegt in dieser Art zu schreiben?
Ich wäre nie auf die Idee gekommen, in einer anderen Form zu schreiben. Ich denke, das hat etwas mit der eigenen inneren Haltung zu tun. Auch in meinen Semiaren käme es mir nie in den Sinn andere zu bewerten oder gar abzuwerten.

Ich denke, wenn das Bewerten und Urteilen in der Gesellschaft keinen Stellenwert mehr hätte, wären wir alle glücklicher. 

Sie haben in Ihrer E-Mail geschrieben, dass Sie zwei große Theaterprojekte organisieren. Sie haben unser Interesse geweckt, können Sie uns mehr darüber erzählen, denn im Internet haben wir leider nicht viel finden können.
Darüber erzähle ich gerne. Gemeinsam mit weiteren 9 Frauen – alle aus dem pädagogischen Bereich im Alter von 50-80 Jahre – entwickelte sich die verrückte Idee mutig auf die Bühne zu steigen, um die Pädagogik mit all ihren Kuriositäten mal so richtig auf die Schüppe zu nehmen. Mit gaaanz viel Humor und Ernsthaftigkeit… Und diese Idee nahm immer mehr Formen an. Wir trafen uns mehrere Male um Ideen auszutauschen und um die Sketche abzustimmen und einzuüben. Das hat so viel Spaß gemacht, dass alleine schon die Treffen für alle ein großes Vergnügen war und wir vor Lachen manchmal gar nicht so richtig zum Üben kamen.

Und so kam es dann an drei Abenden zur großen Aufführung im Theatersaal der UFA-Fabrik in Tempelhof. Insgesamt knapp 1000 Zuschauer*innen konnten uns auf der Bühne erleben. Ich kann nicht beschreiben, was für ein berauschendes Gefühl das ist, wenn man mit Freundinnen auf der Bühne steht und der Saal tobt vor Begeisterung. Wir bekamen viele Anfragen, ob wir noch einmal auftreten und wurden auch aus anderen Städten angefragt.

Nein, wir treten wohl nicht mehr zusammen auf, der Aufwand ist unbeschreiblich groß. ABER: In Kürze gibt es die gesamte dreieinhalbstündige Aufführung als Film in meinem Shop zu erwerben. Wir hoffen auf ganz viele Interessierte, ein Teil des Erlöses fließt in die Ukrainer-Hilfe. 

Mehr dazu in meinem nächsten Newsletter. (Anmeldung: kita-beraterin.de) 

Bekommen Sie von jedem Klienten ein Feedback?
Am Ende eines Seminars in der Kitopia findet eine Abschlussrunde statt. Eine kritische Rückmeldung ist mir wichtig. So erfahre ich – durch den Blickwinkel von außen auf meine Arbeit – ob ich meine Gäste begeistern konnte und ob die mir wichtigen Inhalte gut vermittelt wurden. Für meine persönliche Weiterentwicklung sind diese Rückmeldungen viel wert.

Nehmen Sie einen Wandel in der Arbeit mit den Kindern wahr?
Da bin ich zwiegespalten. Auf der einen Seite bereiten mir die Erwachsenen Sorgen, die in ihrer Angst und Eile die Kinder sozusagen durch die Kindheit hetzen. Das sind nicht nur die Eltern, die mit ihren hohen Erwartungen dem Kitaalltag die Unbeschwertheit nehmen. Es sind auch die Pädagog*innen, die noch immer mit Wochenplänen arbeiten und eine Angebotspädagogik betreiben, die den Kindern nicht gut tut. Kinder, die ständig aus ihrem vertieften Spiel herausgerissen werden, lernen „nicht zuende zu denken“. Sie lernen, dass die Erwachsenen für ihr Wohlergehen und für ihre Unterhaltung zuständig sind. Warum selbst Verantwortung übernehmen? Ich könnte hier noch unzählige Beispiele nennen, das würde den Rahmen sprengen. Ich bin ein großer Optimist, doch: Wenn ich mir die derzeitige Welt ansehe, die vielen Kriege, den Klimawandel, die Umweltzerstörungen, die Polarisierungen, die Streitigkeiten, die Hetze im Internet… nichts von all dem haben Kinder verursacht, es sind ausnahmslos die Erwachsenen.  

Wir haben den wichtigsten und besten Beruf der Welt, es ist eine große Bereicherung zu wissen, dass wir die Möglichkeit haben, alles zu tun, dass die nachfolgende Generation friedlicher, hilfsbereiter, weltoffener und herzlich miteinander umgeht. 

Und da sehe ich den Wandel und werde nie aufhören, mich für mehr Herzlichkeit und Wärme im Kindergarten, in dieser Welt einzusetzen. 

Welche Voraussetzungen sollten Ihrer Meinung nach Pädagogische Fachkräfte mitbringen?
Neben einer guten Ausbildung ist es die Haltung, die für mich an erster Stelle steht. Eine Haltung die geprägt ist von:

Wertschätzung, Achtung, Herzlichkeit, Mitmenschlichkeit, Empathie, Weltoffenheit, Humor, Verantwortungsbewusstsein, Belesenheit, Gelassenheit und Liebe für das Kind. 

Welche Wünsche für die Zukunft haben Sie in Bezug auf frühkindliche Erziehung?
Ich wünsche mir mehr Gelassenheit und dass der erzieherische Fokus mehr auf Mitmenschlichkeit, Empathie und Verantwortungsbewusstsein gelegt wird. Ich wünsche mir, dass die Kinder freier und mitbestimmender aufwachsen können, ihnen aber gleichzeitig mehr Verantwortungen gegeben werden. Im Alltag, im täglichen Miteinander. Ich wünsche mir, dass die Arbeit unter dem Motto steht: „Wir machen uns das Leben schön“. Dazu gehört eine Abenteuerlandschaft drinnen wie draußen, in denen die Kinder ihre Erfahrungen machen können. Kinder brauchen Widrigkeiten, Herausforderungen und kleine Probleme, die sie meistern können. Das macht stark und steigert das Selbstwertgefühl. 

Ich wünsche mir, dass in allen Kitas und Schulen mehr Wert auf eine gesunde Ernährung für die Kinder gelegt wird. Es müssten in allen Einrichtungen Beauftragte gewählt werden, die sich für Gesundheit und Ernährung stark machen.

Kinder brauchen Erwachsene, die ebenso begeisterungsfähig und neugierig sind, wie sie. Die den Kindern die Welt zeigen und  sich von Kindern die Welt zeigen lassen.  Kinder brauchen mutige Pädagog*innen, die sich als Anwälte der Kinder verstehen und ihnen mit Respekt und Achtung begegnen. Anwälte, die den Kindern ein Recht auf all ihre Gefühle einräumen und drauf achten, dass niemandem die Würde genommen wird.  Kleine Schrammen auf der Haut schaden nicht, Hauptsache die Seele bleibt gesund. 

Ach ja, und zu guter Letzt wünsche ich mir, dass alle tristen Kitagebäude in Türmchen-Schösser umgebaut werden und die Pädagog*innen morgens fröhlich winkend aus den geöffneten Fenstern die Kinder begrüßen …

Mit herzlichen Grüßen!

Mariele Diekhof